Antibiotikaverbrauchs-Surveillance

Stellenwert

Die Surveillance von Antibiotikaverbrauch sowie Antibiotikaresistenz und nosokomialen Infektionen ist eine essenzielle Voraussetzung für die Etablierung von Antibiotic Stewardship. Die Surveillance-Daten liefern maßgebende Informationen zur Einschätzung der aktuellen Situation und dienen somit als Grundlage und Ausgangspunkt für Entwicklung, Planung und Fokussierung von Maßnahmen. Ein kontinuierliches Monitoring ermöglicht die Beurteilung der Entwicklung über die Zeit und erlaubt die Evaluierung von Interventionsmaßnahmen (z.B. die Restriktion des Einsatzes bestimmter Antibiotika). Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein Benchmarking nützliche Hinweise zur Optimierung der Antibiotikaanwendung geben. Die Surveillancedaten liefern somit wichtige Kenngrößen für die Durchführung eines effektiven Antibiotikamanagements. Darüber hinaus trägt die regelmäßige Rückspiegelung des Antibiotikaverbrauches an die Kliniker dazu bei die Aufmerksamkeit im Hinblick auf einen rationalen Antibiotikaeinsatz zu erhöhen und somit die leitliniengerechte Verordnung von Antibiotika zu fördern.

Methodik

Für die Erhebung und Analyse von aggregierten Antibiotikaverbrauchsdaten stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, von denen die Wichtigsten in Kürze vorgestellt werden sollen.
Die einfachste Methode, die vornehmlich in Punktprävalenzstudien Anwendung findet, ist die Bestimmung des Prozentsatzes an Patienten, die eine Antibiotikatherapie erhalten haben.
Weite Verbreitung insbesondere im europäischen Raum findet die ATC/DDD (Anatomical Therapeutical Classification / Defined Daily Dose)-Methode, die auf Initiative der WHO vom „WHO Collaborating Centre for Drug Statistics Methodology“ entwickelt wurde. Über die zugrunde liegende Methodik zur ATC-Klassifikation und DDD-Festlegung sowie deren Weiterentwicklung wird jährlich ein Bericht vorgelegt. Die DDD ist die angenommene mittlere tägliche Erhaltungsdosis für die Hauptindikation eines Arzneimittels bei Erwachsenen. Sie ist eine rechnerische bzw. technische Maßeinheit und dient dazu Vergleiche z. B. zwischen einzelnen Krankenhäusern auf standardisierte Art und Weise vornehmen oder um einen zeitlichen Trend quantifizieren zu können. Ein Nachteil dieser Methode ist, dass, je nachdem ob die tatsächlich verordneten Tagesdosen (sog. Prescribed Daily Dose, PDD) deutlich höher (z.B. bei einigen Betalaktam-Antibiotika) bzw. niedriger (z.B. renal insuffiziente Patienten) als die WHO-DDD liegen, der Antibiotikaverbrauch über- bzw. unterschätzt wird. Für den Einsatz in der Pädiatrie ist diese Methode daher nur bedingt geeignet.
In den USA hat sich als Alternative zur ATC/DDD-Methode die Quantifizierung der Therapietage etabliert (Days of Therapy, DOT). Diese Meßgröße ist unabhängig von der eingesetzten Dosierung des Antibiotikums und damit auch geeignet für den Einsatz z.B. in der Pädiatrie. Voraussetzung für die Einführung dieser Methode ist jedoch die elektronische Verfügbarkeit von patientenbezogenen Daten. Dies ist in deutschen Krankenhäusern und im europäischen Raum nicht generell gegeben. Eine weitere Möglichkeit der Antibiotikaverbrauchserfassung ist die Erhebung der Anzahl der Verordnungen in einem bestimmten Zeitraum, die ähnliche Vorteile wie die DOT-Methode bietet. Die oben angeführten Messgrößen werden zur weiteren Standardisierung zu Krankenhaus-Belegungsparametern wie z.B. 100 Patiententage oder Fälle oder auch zur der Gesamtpopulation (z.B. 1000 Einwohner/Tag) in Bezug gesetzt (Antibiotikaverbrauchsdichten). Welche der angesprochenen Messgrößen am geeignetsten ist für die Quantifizierung des Antibiotikaverbrauches und des Selektionsdruckes auf die Bakterienpopulation ist noch unklar. Aggregierte Verbrauchsdaten erlauben eine grobe Einschätzung des Antibiotikaverbrauches, lassen aber keine direkten Schlüsse auf die Qualität der Antibiotikaverordnung (z.B. ob ein Antibiotika-Einsatz indiziert war oder nicht) zu. Hierzu sind detaillierte Verordnungsanalysen notwendig. Unabhängig davon, welche Methode eingesetzt wird, müssen bei der Interpretation der Daten die jeweiligen Limitationen berücksichtigt werden.

Projekte, Europa

ESAC, European Surveillance of Antibiotic Consumption: Dieses von der Universität Antwerpen koordinierte Projekt wurde 2001 initiiert und im Jahr 2011 an das European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) (als ESAC-Net) überführt.

ARPEC, Antibiotic Resistance and Prescribing in European Children (2009-2013): Dieses Projekt wurde auf Initiative der European Society for Paediatric Infectious Diseases (ESPID) gegründet mit dem Ziel die Antibiotikaverschreibungspraxis bei Kindern zu verbessern. Teil dieses Projekts ist eine europaweite Punktprävalenzstudie zum Antibiotika-Verbrauch in pädiatrischen Abteilungen.

Vom European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) werden in regelmäßigen Abständen Punktprävalenzstudien zu nosokomialen Infektionen und dem Antibiotikaverbrauch in europäischen Akutkrankenhäusern durchgeführt.

Projekte, Deutschland

Ambulanter Bereich

Für den ambulanten Sektor werden bundesweite Antibiotikaverbrauchsdaten (bezogen auf die gesetzlich Versicherten) vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), vom Zentralinstitut für Kassenärztliche Versorgung (ZI) und auch von einzelnen Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Basis für die Berechnung der Verbrauchsdichten ist das ATC/DDD-System der WHO.
Die Daten des WIdO werden jährlich an das europäische Netzwerk zur Antibiotikaverbrauchs-Surveillance (European Surveillance of Antibiotic Consumption, ESAC) übermittelt.

Stationärer Bereich

ADKA-if-DGI-Projekt: Das Sentinel-Projekt zur Antibiotikaverbrauchs-Surveillance in Akut-Krankenhäusern wurde von der klinischen Forschergruppe der Infektiologie Freiburg (if) und dem Verband der Deutschen Krankenhausapotheker (ADKA) initiiert und etabliert.

SARI „Surveillance der Antibiotika-Anwendung und der bakteriellen Infektionen auf Intensivstationen“: Dieses Projekt erfasst die Anwendungsrate von Antibiotika und das Auftreten von Multi-Resistenten-Pathogenen-Bakterien (MRPB) auf Intensivstationen. In dem Projekt SARI-Light werden ausschließlich Antibiotikaverbrauchsdaten erfasst.

AVS - Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance: Bundesweites Projekt des RKI und der Charité, Berlin mit dem Ziel, die Krankenhäuser in der Durchführung der Antibiotikaverbrauchs-Suveillance zu unterstützen.

Die methodische Basis aller Projekte im Krankenhausbereich ist das ATC/DDD-System der WHO.

Gesetzliche Regelungen und inhaltliche Vorgaben des RKI

Im Juli 2011 wurde das „Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze“ verabschiedet mit dem übergeordneten Ziel, die Verhütung und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen und resistenten Krankheitserregern zu verbessern. Die darin enthaltenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) sind am 4. August 2011 in Kraft getreten. Nach § 23 Abs. 4 Satz 2 IfSG haben die LeiterInnen von Krankenhäusern und von Einrichtungen für ambulantes Operieren sicherzustellen, dass Daten zu Art und Umfang des Antibiotikaverbrauchs „fortlaufend in zusammengefasster Form aufgezeichnet, unter Berücksichtigung der lokalen Resistenzsituation bewertet und sachgerechte Schlussfolgerungen hinsichtlich des Einsatzes von Antibiotika gezogen werden und dass die erforderlichen Anpassungen des Antibiotikaeinsatzes dem Personal mitgeteilt und umgesetzt werden“.

Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2b IfSG hat das Robert Koch-Institut den Auftrag Daten zu Art und Umfang des Antibiotika-Verbrauchs festzulegen. Die Vorgaben des RKI wurden unter dem Titel „Festlegung der Daten zu Art und Umfang des Antibiotika-Verbrauchs in Krankenhäusern nach § 23 Abs. 4 Satz 2 IfSG“, begleitet von einem erläuternden Artikel, veröffentlicht.

Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

©Robert Koch-Institut
Alle Rechte vorbehalten, soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt